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Menschen müssen sich bewegen

Filme, Fotokunst, Livemusik – und eine denkwürdige Migrationsdebatte. Das waren die European Utopia/Dystopia Days im EineWeltHaus München.

© European Utopia e.V. / Silke Bodenberger

Talk-Gäste von links nach rechts: Politik-Professor Oliver Hidalgo, Regisseur Jakob Preuss, Filmemacherin Manuela Federl, Altenpfleger Paul Nkamani und Moderatorin Elena Witzeck

Drei Filmabende, eine Fotoausstellung und eine prominent besetzte Talkrunde mit anschließender Party: Im September 2023 veranstaltete European Utopia e.V. sein erstes großes Event, die European Utopia/Dystopia Days im EineWeltHaus München.

Die Veranstaltungsreihe widmete sich dem Thema der Stunde, der Migration. Und dabei kamen unter anderem diese unerhörten Gedanken zur Sprache:

Menschen haben das Recht, sich zu bewegen. Sie haben das Recht, ohne Papiere Grenzen zu überwinden und einen Asylantrag zu stellen. Menschen haben sogar das Recht auf ein faires Verfahren – und, unveräußerlich, unter allen Umständen und immer: Sie haben das Recht, dass ihre Würde gewahrt bleibt.

Fotoausstellung

Kern der European Utopia/Dystopia Days war die Ausstellung des Münchner Fotografen Dirk Bruniecki im Foyer des EineWeltHauses.

Die Ausstellung knüpfte an drei preisgekrönte Dokumentarfilme an: „Als Paul über das Meer kam“ (2017) schildert die Flucht von Paul Nkamani aus Kamerun bis Berlin sowie das Kennenlernen von Paul und Regisseur Jakob Preuss, der im Film mehr als ein stummer Beobachter ist. „A Black Jesus“ (2020) erzählt die Geschichte von Edward Zorobah aus Ghana, der im sizilianischen Ort Siculiana zuerst angefeindet wird, bevor er mit Einheimischen ein schwarzes Kruzifix durch den Ort tragen darf. „The Game – Spiel zwischen Leben und Tod“ (2021) thematisiert die Brutalität an der EU-Außengrenze zwischen Bosnien und Kroatien.

Dirk Bruniecki und Autor Niclas Müller hatten recherchiert, wie die Geschichte der Protagonist*innen nach den Dokumentarfilmen weiterging. Die beiden trafen die Geflüchteten im Frühjahr 2023 an teils überraschenden Orten. Die Familie Aizizi aus Afghansitan, die im Film wieder und wieder Opfer illegaler Pushbacks durch kroatische Grenzer wurde, schaffte es irgendwann in die EU und lebt jetzt in Darmstadt. Edward Zorobah blieb auf Sizilien, arbeitet heute als Mechaniker auf einem Schrottplatz, ist aufgrund seiner Filmprominenz zum „Ehrenbürger“ ernannt worden – allerdings zu einem, der kein gesichertes Bleiberecht hat. Und Paul Nkamani, der am Ende des Dokumentarfilms im Haus des Vaters des Regisseurs wohnt, arbeitet seit Jahren als Altenpfleger in Berlin und lebt noch immer in der aus dem Film bekannten Einliegerwohnung.

Für seine Ausstellung porträtierte Bruniecki die Geflüchteten in ihren aktuellen Lebenssituationen. Die ungeschminkten Fotografien zeigen, wie und wo Nkamani, Zorobah und die Familie Aizizi in Europa gestrandet oder angekommen sind. Die Porträt- und Reportagefotos pendeln zwischen Utopie und Dystopie. In den Gesichtern der ehemaligen Dokumentarfilmstars sind die Spuren der Flucht genauso abzulesen wie die Härten ihres Alltags – und noch immer die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

© European Utopia e.V. / Silke Bodenberger

Ausstellung im Foyer des EineWeltHauses: Porträts von Geflüchteten, die einst in preisgekrönten Dokumentarfilmen zu sehen waren und heute irgendwo in Europa angekommen - oder gestrandet sind

Der Bezirksausschuss Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt der Stadt München förderte die Ausstellung von Dirk Bruniecki. Einige der Fotos sind zusammen mit Reportagen von Niclas Müller auch hier in der Zeitschrift Chrismon erschienen.

Ein weiterer, vom Hauptthema abgetrennter Teil der Ausstellung zeigte Brunieckis Porträts von freiwilligen Herlferinnen aus Israel, den USA und Polen, die unentgeltlich in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau mitarbeiten. Das Ziel dieser „Volunteers in Hell“ ist es, die Erinnerung an den Holocaust am Leben zu erhalten. Auch dieses Foto- und Reportage-Projekt, das von European Utopia e.V. ermöglicht wurde, war 2022 in renommierten Medien veröffentlicht worden: in Deutschland im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hier und in Israel in der Tageszeitung Haaretz hier.

Filmabende

Begleitend zur Ausstellung wurden die drei Dokumentarfilme im Rahmen der European Utopia/Dystopia Days 2023 im EineWeltHaus vorgeführt, jeweils mit anschließender Diskussionsrunde: „A Black Jesus“ am 13. September, „The Game – Spiel zwischen Leben und Tod“ am 27. September, „Als Paul über das Meer kam“ am  28. September.

Interessierte können sich die drei preisgekrönten Filme über verschiedene Streaming-Anbieter oder kostenfrei hier „The Game – Spiel zwischen Leben und Tod“ ansehen. Dringende European-Utopia-Empfehlung!

The Game – Spiel zwischen Leben und Tod
Von Manuela Federl, erschienen 2021, 88 Minuten, ausgezeichnet unter anderem als „Best Humanitarian Film“ beim Cannes World Film Festival 2021.

Auf der Balkanroute, nahe Bihac in Bosnien, leben Menschen in Ruinen und im Wald, wie man es „keinem Haustier zumuten würde“ (O-Ton Helferin). Die Geflüchteten versuchen, die rund 15 Kilometer entfernte kroatische Grenze zu überwinden. Kroatiens Grenzpolizei schlägt sie brutal zurück. Verprügelte, Weinende, Halberfrorene, sitzen nach Push-Backs apathisch am Straßenrand oder humpeln in ihre Behausungen. Und probieren es bald erneut. „The Game“ nennen die Geflüchteten ihre Versuche.

Zu Beginn und am Ende des Films sehen wir Fariba Aizizi aus Afghanistan mit ihren drei Kindern und ihrem Mann durch den Schnee wandern: Ihre kleine Tochter hustet und jammert, weil sie nicht zum „Game“ will – es ist ein weiterer Versuch, die Grenze zu überwinden.

Wie es den Aizizis nach dem Film ergangen ist, zeigte die Fotoausstellung der European Utopia/Dystopia Days im Foyer des EineWeltHauses und eine Reportage in der Zeitschrift Chrismon.

Manuela Federl setzt sich nicht nur als Filmemacherin mit Migrationsthemen auseinander, sondern sie ist auch Vorständin und Mitgründerin des Vereins Lautlos e.V., der in der Geflüchtetenhilfe aktiv ist.

Als Paul über das Meer kam
Von Jakob Preuss, erschienen 2017, 97 Minuten, ausgezeichnet u.a. beim International Film Festival Rotterdam.

Paul Nkamani aus Kamerun lernt an der Küste Marokkos Filmemacher Jakob Preuss kennen, der an Europas Außengrenzen recherchiert. Kurz darauf fährt Nkamani im Schlauchboot nach Europa. Während der Überfahrt stirbt die Hälfte seiner Mitreisenden. Preuss trifft den traumatisierten Nkamani in Spanien wieder. Er begleitet ihn bis Brandenburg und Berlin, wobei der Regisseur seine Beobachterposition nach und nach verlässt – und sich fast so etwas wie Freundschaft zwischen den beiden entwickelt.

Wie es Paul Nkamani heute geht, zeigte die Fotoausstellung der European Utopia/Dystopia Days im Foyer des EineWeltHauses und eine Reportage in der Zeitschrift Chrismon.

A Black Jesus
Von Luca Lucchesi, produziert von Wim Wenders, erschienen 2020, 92 Minuten, ausgezeichnet u.a. mit dem Deutschen Menschenrechts-Filmpreis 2022.

Die Einwohner des sizilianischen Orts Siculiana verehren eine schwarze Jesusfigur - doch gegen eine Unterkunft für schwarze Geflüchtete gehen sie auf die Straße. Neuankömmling Edward Zorobah aus Ghana findet das seltsam. Er fragt den Priester, ob er bei der Prozession die Jesusfigur mit durch den Ort tragen darf – gemeinsam mit Einheimischen. Und tatsächlich: Er und zwei seiner Freunde dürfen.

Wie es Edward Zorobah heute geht, zeigte die Fotoausstellung der European Utopia/Dystopia Days im Foyer des EineWeltHauses und eine Reportage in der Zeitschrift Chrismon.

Diskussionrunde und Party

Am 20. September lud European Utopia e.V. schließlich in den großen Saal des EineWeltHauses ein, um mit prominenten Gästen über Migration zu diskutieren: Auf dem Podium waren Paul Nkamani und Jakob Preuss aus Berlin zu Gast, beide bekannt aus „Als Paul über das Meer kam“. Filmemacherin Manuela Federl aus Trostberg sprach über ihre Arbeit an „The Game – Spiel zwischen Leben und Tod“. Politik-Professor Oliver Hidalgo von der Universität Passau brachte eine wissenschaftliche Perspektive ein und die FAZ-Redakteurin Elena Witzeck moderierte.

© European Utopia e.V. / Silke Bodenberger

Migrationsdebatte ohne Zynismus: "Menschen dürfen sich bewegen"

Im Anschluss an die Diskussionsrunde gab das deutsch-kolumbianische Künstler-Duo „Cosmica Bandida“ ein Konzert.

© European Utopia e.V. / Silke Bodenberger

Cosmica Bandida auf der Bühne

European Utopia e.V. bedankt sich bei allen Gästen, dem EineWeltHaus München und dem Bezirksausschuss Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt der Stadt München für die Unterstützung der European Utopia/Dystopia Days 2023!

© European Utopia e.V. / Silke Bodenberger

Diskussion, Konzert und gutes Essen: der Food Truck Asere que bole mit kubanischen Spezialitäten im Hof des EineWeltHauses am 20. September

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