zurück zu News/Blog

Sechs Buch-Tipps zum Start

Eine bessere Welt ist möglich – oder nicht? Diese Frage beschäftigt Philosoph*innen und Wissenschaftler*innen seit Menschengedenken. Für angehende Europa-Utopist*innen empfehlen wir hier sechs Standardwerke als Diskussionsgrundlage.

1. „Europa. Eine exzentrische Identität“ von Rémi Brague

Das Buch des Platon- und Aristoteles-Kenners aus Paris erschien 1992 unter dem Origialtitel „Europe, la voie romaine“ – und es ist so aktuell wie nie. Wer wissen will, was Europa im Innersten zusammenhält, findet hier glänzend formulierte, komplexe Antworten. Denn die DNA dieses Kontinents ist vielschichtig und seine Grenzen sind fließend. Im Licht von Bragues Erkenntnissen erscheinen Abschottung und Fremdenhass per se als abwegig und eigentlich uneuropäisch, denn: „Europas Quelle befindet sich außerhalb.“

2. „Falls Europa erwacht“ von Peter Sloterdijk

Der Karlsruher Philosoph analysiert kurz und präzise die katastrophale europäische Geschichte – und blickt in seinem Essay von 1994 nach vorn. Damals erschien es denkbar, dass die Europäer*innen aus ihrer Historie klug geworden wären. Heute wirken manche Sätze erfrischend optimistisch. Zum Beispiel: „Die europamüden Europäer werden – mit Hilfe von geeigneten Europa-Trainern, um nicht zu sagen: Europa-Künstlern – selbst die Vision zu erfinden haben, die sie für das Europa beflügeln wird, das sie meinen.“ 

3. „Die Identitätsfalle. Warum es keinen Krieg der Kulturen gibt“ von Amartya Sen.

Der Philosoph, der in Westbengalen geboren wurde, in Harvard lehrt und den  Nobelpreis erhielt (für Ökonomie!), führt in diesem Werk aus, warum es falsch ist, jemanden wegen seiner Nationalität, Religion oder Kultur als Mensch bestimmen zu wollen. Denn: „Wir haben plurale Zugehörigkeiten.“ Das Buch erschien 2006 unter dem Originaltitel „Identity and Violence: The Illusion of Destiny.“ Die Ansicht, dass Identitäten komplex sind, teilt der Autor mit Rémi Brague, wobei Sens Sicht noch kosmopolitischer ist. Auch deshalb ist dieses Buch ein Segen: Es wirkt gegen europäische Überheblichkeit, erinnert an die Verbrechen des Kolonialismus und daran, dass es auch anderswo große Aufklärer*innen, Vorkämpfer*innen für Menschenrechte und Utopist*innen gab und gibt. 

4. „Warum Europa eine Republik werden muss. Eine politische Utopie“ von Ulrike Guérot

2016 erstmals erschienen, ist dieses Buch Pflichtlektüre für Freund*innen der politischen Einigung Europas. Die Politik-Professorin, die in Krems an der Donau lehrt, skizziert darin sehr konkret, wohin sich der Kontinent bis 2045 ihrer Meinung nach entwickeln müsste: in Richtung einer Republik. Der Autorin schwebt kein monströser Zentralstaat vor, den nur Gegner immer beschwören, sondern ein schlankes, offenes Staatsgebilde mit souveränen Bürger*innen und starken autonomen Regionen, in denen die Vielfalt blüht. „Wir müssen die EU und die Nationalstaaten beide ziehen lassen.“ 

5. „Europadämmerung“ von Ivan Krastev

Der Essay, der 2017 unter dem Originaltitel „After Europe“ erschien, ist das Gegenteil einer Utopie – und genau deshalb wertvoll. Ohne jede Illusion schildert der im bulgarischen Lukovit geborene Politologe den traurigen Ist-Zustand Europas nach dem Brexit-Votum. Der Autor analysiert aktuelle Formen von Populismus und erklärt das bedrohliche Auseinanderdriften von Ost- und Westeuropa, gerade auch im Umgang mit Geflüchteten. Die Analyse gipfelt in der bangen Frage, ob die Europäische Union dazu „verdammt“ sei, „in ähnlicher Weise zu zerfallen wie einst das Habsburgerreich.“ Als europäische Utopist*innen würden wir antworten: Nein, denn niemand ist zu etwas verdammt, sondern wir bestimmen unseren Weg selbst. 

6. „Wir heimatlosen Weltbürger“ von Lorenzo Marsili und Niccolò Milanese

Das Buch erschien 2018 unter dem Originaltitel „Citizens of Nowhere. How Europe Can Be Saved from Itself“, und es setzt sich mit den Krisen des vergangenen Jahrzehnts auseinander: Die EU hat ein Demokratie-Defizit, dient Konzern- mehr als Bürgerinteressen und trägt damit ungewollt zu ihrem Ansehensverlust bei. Die beiden Autoren, die sich für die Organisation „European Alternatives“ engagieren, zeigen aber auch theoretisch fundiert Auswege auf und geben praktische Beispiele, die ganz im Sinn von European Utopia e.V. sind: weniger Engstirnigkeit, mehr Gemeinsinn und Solidarität. Eine Kernthese des Buchs: Die Bürger*innen Europas denken längst fortschrittlicher und transnationaler, als es die nationalen politischen Eliten wahrhaben wollen.

zurück zu News/Blog